Synopsis

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Wie wohl die allermeisten Zuschauer des Films, war auch Sabine Timoteo noch nie zuvor in einem japanischen Zen-Kloster. Wir lernen sie kennen, wie sie müde nach langer Flugreise in einem japanischen Reisebus sitzt. Vor dem Fenster ziehen die endlosen Industrielandschaften an der Küste von Osaka und Kobe vorbei, bald darauf in einem Bummelzug die schroffe und wilde Landschaft der dünn besiedelten Westküste Japans. Ihren Rucksack geschultert, lässt sie die letzten herbstlichen Reisfelder hinter sich auf ihrem Fussweg in die Berge. Mitten im wilden Wald führt der Weg schliesslich zu einer langen Steintreppe an deren Ende sie im Kloster Antaiji ankommt.

Nach der Begrüssung beginnt der Lernprozess der jahrhundertealten Klosterregeln : Wie verbeugt man sich, wie sitzt man in der Meditationshalle auf dem Kissen vor der leeren Wand. Wie sind beim schweigend eingenommenen Essen die einzelnen Bewegungen mit den Essstäbchen in Verbindung mit den drei schwarz lackierten Holzschalen auszuführen, wie verhält man sich beim Kochen und Putzen, der Körperpflege, auf der Toilette und während der Arbeit auf den Feldern.

Im Verlauf der kommenden Wochen gewöhnt Sabine sich zunehmend an die vielen zu beachtenden Regeln im Alltag, an das tägliche Aufstehen bei Dunkelheit um viertel vor vier in der Früh, an das lange regungslos stille Sitzen in der Meditationshalle, die schweisstreibende Arbeit auf den Gemüse- und Reisfeldern und beim Holzschlagen im Wald. Dem guten Dutzend zumeist junger Zen-Praktizierender aus aller Welt geht der Spass und das Scherzen dabei nicht aus, kommuniziert wird mehrsprachig. Zum Ende des Herbstes feiern alle versammelt um ein grosses Feuer ein nächtliches Fest, Bier und Reiswein trinkend zur Live-Musik der Klosterband.

Bei Wintereinbruch verschwindet Antaiji unter einer bis zu vier Meter hohen Schneedecke, das kleine Kloster ist für drei Monate abgeschnitten vom Rest der Welt. Da es nur einen einzigen, von einem Holzofen beheizten, warmen Raum gibt, der gleichermassen Meditations- wie Aufenthaltsraum ist, vertreiben sich die Anwesenden die Zeit mit Geschichten. Sie erzählen sich von ihren Erfahrungen, surfen auf ihren Laptops und schreiben Emails an die Familie und die Freunde «zu Hause». So strikt die alten Klosterregeln auch sein mögen und so klassisch alt-japanisch die Holzbauweise des Klosters ist – es gibt Wlan für alle in Antaiji.

Nachdem unter der japanischen Frühlingssonne der letzte Schnee weggeschmolzen ist wird der neue Reis gepflanzt, Bambusschösslinge im Wald ausgegraben und junge Farntriebe geschnitten. Im Mai reisen die Nonnen und Mönche zusammen mit Abt Muho und der mittlerweile nicht mehr „neuen“ Sabine ins fünf Stunden entfernte Osaka, Zentrum einer der grössten Agglomerationen dieser Erde. Inmitten der rastlosen Geschäftigkeit stehen sie in ihren traditionellen Mönchsgewändern Sutra-rezitierend vor den U-Bahneingängen, um zu betteln für ihren Lebensunterhalt und die Nebenkosten des Klosters. Nach einer letzten gemeinsamen Übernachtung in einer billigen Herberge am Rand des Rotlicht- viertels von Osaka endet Sabines Zen-Kloster-Abenteuer…

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Vorgeschichte

von Werner Penzel

Nachdem ich als 18-Jähriger fasziniert war von der Inspiration, die die Schriftsteller der Beatnik-Bewegung und der Komponist John Cage aus ihrer Beschäftigung mit Zen-Buddhismus gewonnen hatten, begann ich mich mit einschlägiger Literatur zu beschäftigen. Da immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass eine rein intellektuelle Beschäftigung mit der Lehre und den Erkenntnissen des Zen-Wegs letztlich nur Missverständnisse erzeugt, entschloss ich mich 1978 als 28-Jähriger nach Japan zu reisen, um in das 1243 von Dogen gegründete Kloster Eiheiji einzutreten. Beim stundenlang schweigenden Sitzen vor der leeren Wand des Meditationsraums zerbröselten bald all meine Erwartungen. Nicht nur den Zen-Buddhismus betreffend, auch meine Vorstellungen was Erkenntnis oder gar «Erleuchtung» betrifft, erwiesen sich als schnell verderbliches Konsumgut. In den darauf folgenden Jahren nutzte ich neben meiner Arbeit als Filmemacher immer wieder einen Teil meiner Zeit für kürzere Aufenthalte in verschiedenen Klöstern Japans und westlichen Zen-Zentren.

Im Jahr 2005 entdeckte ich dann das kleine Kloster Antaiji – in der Nachfolge des legendären Zen-Meisters Kodo Sawaki nun von Abt Muho geleitet, geboren als Olaf Nölke in Berlin, dem ersten nichtjapanischen Abt eines Klosters in Japan. Es war auch das erste Kloster das ich besuchte, in dem nicht nur reger Besuch von jungen Menschen aus aller Welt herrscht, sondern in dem Frauen und Männer in völliger Gleichberechtigung praktizieren. Nach mehreren Aufenthalten, auch gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin Ayako Mogi, schlugen wir Abt Muho und den Nonnen und Mönchen vor, einen Film zu drehen nicht über, sondern im Alltag des Klosters.Während mehrerer Besuche mit unseren Filmgeräten gewannen wir schliesslich das Vertrauen und das Interesse aller Beteiligten an diesem Projekt. Nun fehlte uns nur noch ein Protagonist, besser eine Protagonistin, die bereit ist, zum ersten Mal einzutreten in ein Zen-Kloster und damit die Erfahrung einer «Anfängerin» nicht nur für sich selbst, sondern auch stellvertretend für den Zuschauer des Films zu machen. In Sabine Timoteo haben wir diese Protagonistin gefunden, nicht als die Schauspielerin, die sich mittlerweile einen Namen gemacht hat, sondern als die Person, die sie ist.

Als ich Sabine Timoteo das Angebot machte, zusammen mit einem Filmteam in ein Zen-Kloster zu gehen und sich den dort herrschenden Regeln zu fügen, erzählte ich ihr ausführlich von meinen eigenen Erfahrungen: den Widersprüchen und Zweifeln, den Enttäuschungen und den beim Meditieren bisweilen unerträglich werdenden Schmerzen in Knien, Rücken, Gelenken, im Kopf – überall. Von den Momenten, in denen ich mich fragte: «Warum in aller Welt tust du dir das an? Warum stehst du nicht einfach auf, packst deinen Rucksack, gehst den Berg wieder runter, isst ein feines zartes Steak in einem angenehmen Restaurant und gönnst dir ein gutes Glas Wein? Während die anderen sich weiter stundenlang quälen auf ihrem blöden Sitzkissen vor der leeren Wand – keiner wird dich aufhalten oder dir einen Vorwurf machen…»

Anders als die meisten Religionen, kennt die Zen-Schule auch keine tröstlichen Sprüche, keine paradiesischen Vorstellungen weder im Hier und Jetzt noch für ein Jenseits – keinen Gottesbegriff, kein Missionieren. Romantisierende Betrachtung wird als Verwirrung angesehen. Enttäuschung gilt als befreiend.

Nachdem Sabine meinen Ausführungen zugehört hatte, sagte sie nach einer Weile: «…da bin ich dabei.» Und nach einer Weile: «Worum es geht ist Haltung und Selbstverantwortung, oder?»

„Es gibt Leute,

die betreiben Zen als Fortbildung.

Das ist bloss Schminke.

Zen ist keine Fortbildungsanstalt.

Zen schmeichelt dir nicht,

es putzt dich aber auch nicht runter.

Zen bedeutet Geradeaus-Weitergehen.“

– Kodo Sawaki –

7 Mönch mit Gitarre by Norbert Hübner